Mittwoch, Oktober 19, 2005

 

Das älteste Volksfest in Deutschland

Kaufrausch und Spieltrieb: Die Geschichte des Bremer Freimarkts
Am Anfang war ... die "freie Markt-Wirtschaft"!

Wenn es draußen dunkel und ungemütlich wird, freuen sich die Bremer auf die "5. Jahreszeit", die mit bunten Lichtern, herrlichen Düften und fröhlicher Musik alle grauen Gedanken vertreibt: "Ischa Freimaak!" heißt es im Herbst.
Die Wurzeln des Bremer Freimarktes liegen im Mittelalter. Das älteste deutsche Volksfest begann am 16. Oktober des Jahres 1035, als Kaiser Konrad II. dem bremischen Erzbischof Bezelin die Jahrmarktsgerechtigkeit verlieh. Seit diesem denkwürdigen Herbsttag hatte die Stadt die Erlaubnis, zweimal jährlich Markt auf dem Kirchhof "Unser Lieben Frauen" abzuhalten. Ohne jede Beschränkung und Rücksicht auf die einheimischen Zünfte konnten Kramer und Wandersleute nun ihre Waren verkaufen - eine neu gewonnene wirtschaftliche Unabhängigkeit, an die noch heute der Name "Freimarkt" erinnert.
Von 1035 an hat jeder nachfolgende Kaiser das Jahrmarktsprivileg regelmäßig erneuert. Franz II. war der letzte, der 1793 den Bremer Kaufleuten diese Erlaubnis erteilte. Danach entschieden die Hanseaten selbst, ob und wann sie Markt halten wollten. Und sie wollten eigentlich immer.

Vom Wa(h)renmarkt zum Vergnügungs-Rummel
Zunächst zogen vor allem Krämer und Wandersleute mit ihren Waren zum Freimarkt. Besonderen Umsatz machten die Händler im Herbst zur Erntezeit, wo viele Bauern in die Stadt kamen, um ihre Einkäufe für den Winter zu machen.
Aufregend bunt wurde das Markttreiben mit dem Einzug des fahrenden Volkes. Spielleute, Gaukler, Wahrsager, Possenreißer und Marktschreier boten eine blendende Welt der Superlative: das feinste Tuch, die edelsten Gewürze, die derbsten Zoten - und natürlich der neueste Klatsch aus der Welt jenseits der Stadt- und Landesgrenzen.
Für ein paar Groschen konnte man hier den Duft des Abenteuers und der weiten Welt schnuppern. Ein Löwe im hohen Norden? Bereits 1445 war er auf dem Bremer Marktplatz zu bestaunen. Seit dem 17. Jahrhundert kamen immer mehr exotische Tiere dazu: dressierte Bären, Dromedare und Affen, bis hin zur ersten Raubtier-Menagerie des Unternehmers Amigoni 1810. Vom 17. bis in 19. Jahrhundert war der Mensch in seiner ganzen Skurrilität ein beliebtes Ausstellungsobjekt: auf dem Freimarkt gastierten unter anderem der "Hottentott" aus Afrika (1687), die 68 cm "kleine Mademoiselle" (1799), die auf Wunsch auch in einem kleinen Kasten frei Haus geliefert wurde, "Buffalo Bills Wild West Company" (1890) und der am ganzen Körper behaarte "Löwenmensch Lionel" (1938).
Trotz fahrenden Volkes blieb der Freimarkt fast 800 Jahre lang vor allem ein Warenmarkt. Erst seit Anfang des vorigen Jahrhunderts wandelte sich das Bild zu dem, was wir heute unter "Jahrmarkt" verstehen: Mit Buden, Zelten und Fahrgeschäften entsteht ein Fest der Freude und des Vergnügens. 1809 erschien der erste Schausteller mit einem Karussell. Das Publikum war begeistert von den hölzernen Pferden, die sich, von Menschenkraft angetrieben, im Kreis drehten.

Vor allem nachdem ab Mitte des 19. Jahrhunderts die ersten Eisenbahnstrecken eröffnet wurden, erlebte der Bremer Freimarkt einen großen Aufschwung mit immer neuen Attraktionen: 1847 begeisterte der "Hau den Lukas" vor allem die Arbeiter, die Leierkastenmänner sorgten ab 1870 für Stimmung, das Schiffskarussell schaukelte seit 1881 auf dem Platz und auf der Berg- und Talfahrt trafen sich ab 1890 junge Menschen zum Stelldichein. Besonders bei der Jugend wurde der Rummel beliebt. Während der gesamten Freimarktszeit fiel bis 1875 nämlich der Nachmittagsunterricht in allen Schulen komplett aus.
Die Marktfläche wuchs im Laufe der Jahrhunderte immer mehr an und erweiterte sich auf den Domshof, den Rathausplatz und die Domsheide bis hin zum Bahnhofsplatz, ins Rembertiviertel (1862), Hohenloherstraße (1889). Durch die Verdichtung der Bebauung in der historischen Innenstadt wurden hier die Plätze für den Freimarkt ständig weniger, so dass sich der Freimarkt über den Teerhof in die Neustadt (1890) ausdehnte.

Mehr und mehr wurde die Neustadt (Grünenkamp, Hohentor) zum Mittelpunkt des Freimarktes. Bis zum Jahr 1933 fand der Freimarkt allein in der Neustadt statt, um dann 1934 auf die Bürgerweise zu ziehen. Seit 1934 findet der Freimarkt auf einem Festplatz im Herzen der Stadt, der Bürgerweide, statt.
Im 19. Jahrhundert wurden auch Buden mit Honigkuchen und Zuckerwatte immer beliebter. Den berühmten Schmalzkuchen gab es ab 1847 zu kaufen. Und ein weiteres halbes Jahrhundert später bekamen die Fischbuden mit den beliebten Speckaalen Konkurrenz: 1906 briet der Bremer Schlachtermeister Wilhelm Keunecke die erste Rostbratwurst auf offenem Feuer.
Als 1939 der zweite Weltkrieg ausbrach, wurde das Volksfest nur noch einmal zugelassen - als Budenstadt auf dem Domshof. Vor einundfünfzig Jahren dann luden die Marktbezieher zum ersten noch provisorischen "Friedens-"Freimarkt.

Freimarkt heute: Weiter, höher, schöner!

Mittlerweile zählt der Freimarkt zu den beliebtesten und modernsten Volksfesten in Deutschland. Über vier Millionen Besucher von nah und fern kann die Stadt jedes Jahr verzeichnen. Auf einer Fläche von 100.000 Quadratmetern bieten 350 Schausteller Jahrmarktsvergnügen der Superlative: Die neuesten Überschlagkarussells versprechen Nervenkitzel pur. Auf keinem anderen Fest in Deutschland stehen so viele Fahrgeschäfte wie auf dem Bremer Freimarkt. Die Sperrzeiten für Gaststätten sind während der gesamten 17 Tage aufgehoben. Zuckerwatte und Räucheraal, Lichtkaskaden und Nervenkitzel, Partytaumel und Spielrausch: Das "kühle Bremen" zeigt sich im Ausnahmezustand: "Ischa Freimaak!"

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